"Koalition der Wandlungswilligen"

, von Ekkehart Schmidt














In der Welt kommen nahezu gleichzeitig überall Systeme unter Druck, die über Jahrzehnte verlässlich funktioniert haben. Dies ist kein Zufall. Die Krisen offenbaren, gerade durch die Pandemie als Disruptor, wie wir mit uns und dem Planeten umgehen, auf dem wir leben. Wir sehen, dass die Systeme an ihr Limit kommen und wir vor großen Umwälzungen stehen. Es wird sichtbar, dass unsere alltäglichen Entscheidungen und Lösungen, die im kleinen Maßstab hohen Komfort versprechen und auch bieten, global aufsummiert zur Bedrohung geworden sind. Prägnant, aber nicht überspitzt gesagt: Das Wachstumsmodell unserer Wirtschaft mit der Externalisierung sozialer und ökologischer Folgen verursacht die meisten dieser Krisen. Wirtschaftswachstum in seiner heutigen Form heißt Biodiversitäts- und Klimakrise. Das ist die fatale Logik unserer Zivilisation.

Die meisten Analysen sind klar und eindeutig, aber auch die Lösungen zur Bewältigung der sozial-ökologischen globalen Krisen sind in großen Zügen schon erarbeitet. Erwähnt seien die Nachhaltigkeitskonzepte Suffizienz, Effizienz und Konsistenz (Kreislaufsysteme). Natürlich gibt es noch divergierende Konzepte, denkt man an Grünes Wachstum und Postwachstum/ Degrowth, wo es sich noch streiten lässt. Insgesamt aber haben wir kein Erkenntnisproblem mehr, sondern ein Umsetzungsproblem. Wir wissen, dass wir nur noch sechs bis acht Jahre Zeit haben, das Ruder umzureißen – und doch sind wir wie gelähmt, schaffen es nicht, anders als bei der Pandemie, alles daran zu setzen, jetzt sofort konsequent die Krise zu bekämpfen. Wenn wir dies nicht tun, kommt es zu einem „Change by Desaster“, statt zu einem „Change by Design“.

Trotz aller optimistisch stimmender Nachrichten dieser Tage: Woran scheitert die konsequente Umsetzung des Notwendigen? Wieso dringt die Zivilgesellschaft mit ihren Vorschlägen so schwer bei Wirtschaft und Politik durch? Bei einem Workshop „Sustainable Finance“, an dem wir im Vorfeld des „Geldgipfels“ teilnahmen, gab es im Januar mit der „Theory of Change“ eine Antwort auf die erste und mit dem Konzept regionaler und nationaler „Koalitionen der Wandlungswilligen“ eine Lösung der zweiten Frage.

Das bestehende Wirtschaftssystem wird getragen von Personen und Institutionen, die den Status quo bewahren wollen und die Notwendigkeit eines Wandels verneinen bzw. nur unter enormem öffentlichem Druck kleinere Eingriffe und Regulierungen umzusetzen bereit sind. Während sie an Gewohnheiten festhalten wollen, sind viele andere Akteure schon dabei, Wirtschaft grundlegend neu zu denken, machen Experimente und versuchen, Gewohnheiten zu verändern. Doch bleiben diese Pioniere (noch) zu oft in ihrer Nische. Aber der große Umbruch ist längst im Gange.

Durch die Pandemie ist „das alte“ schon weg, nur ist „das neue“ noch nicht da. Das ist anstrengend, es erzeugt Unsicherheiten und ein unangenehmes Gefühl von Chaos. Aber: Für einen wirklichen, tiefgreifenden Wandel ist diese Phase nicht nur eine Chance, sondern auch eine Notwendigkeit, um wirklich unsere bekannten Pfade zu verlassen.

Die „Theory of Change“ macht darauf aufmerksam, dass es darum geht, den „Kampf der Haltungen“ zu erkennen und aufzulösen, um einen gemeinsamen Weg zu finden. Es darf nicht sein, dass die einen verlieren müssen, damit die anderen gewinnen. Schließlich sitzen wir Menschen – und das ist keine Floskel – in Australien, Indien, Luxemburg, Nigeria oder Peru, als Männer und Frauen, Kanner und Grousselteren im „gleichen Boot“ namens „Erde“. Wie damals in Mesopotamien bei der Arche Noah.

Bei diesem Kampf muss man zuhören können, statt bei Gesprächen zu versuchen, Recht zu haben oder zu behalten. Denn dann verharrt man selbst in einem Denkmuster - nur in einem anderen als das Gegenüber. Wir müssen unbedingt miteinander streiten, aber nicht gegeneinander. Deshalb sollten wir uns nicht nur in den eigenen „Filterblasen“ bewegen, sondern miteinander ins Gespräch kommen und ideologische Floskeln hinterfragen. Oder, wie der Schauspieler Anthony Hopkins kürzlich in Bezug auf die Pandemie sagte: „Wir müssen alles was uns trennt, beiseitelegen und gemeinsam eine neue Welt erschaffen“.

Durch das Kennenlernen diverser Perspektiven findet sich meist eine gemeinsame Basis: zum Beispiel die, dass niemand unsere Natur willentlich zerstören möchte. Wollen wir vielleicht dasselbe, nur mit anderen Mitteln? Es muss versucht werden, zwischen den scheinbar unauflöslichen Positionen der Bewahrer*innen und Blockierer*innen zu vermitteln. Es braucht Ideen und Orientierungen im Suchprozess nach einer gemeinsamen nachhaltigen Zukunft. „Wandel durch Annäherung“ könnte hier der Grundgedanke sein.

„Wir müssen Hebel finden, mit denen wir mehrere Probleme gleichzeitig angehen können. Wir müssen viele Regeln und Gewissheiten in Frage stellen und proaktiv die Zukunft anders gestalten“, schreibt die Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel in ihrer Publikation "Zukunft neu denken". Zumindest sollten wir erst einmal einen Möglichkeitsraum aufzeigen. „Dann finden wir den Optimismus und die Kraft, unser Wirtschaftssystem zu verändern“.

Margaret Wheatley, Präsidentin des Berkana Institute, sagt: „Whatever the problem, community ist he answer“. Diese Erkenntnis, Probleme gemeinsam anzugehen, hätte auch von Martin Luther King stammen können, doch ist von ihm eher der diesen Gedanken ergänzende Satz bekannt, dass man „Deiche des Mutes gegen die Flut der Furcht“ bauen müsse.

Eine Lösung ist, lokal aktiv zu werden, sich mit Gleichgesinnten im unmittelbaren Lebensumfeld zusammen zu schließen und etwas zu initiieren. Denn dieses können wir tatsächlich gestalten und unsere Wirkung darauf erleben – getreu zweier weiterer Zitate, diesmal vom Dalai Lama und Mahatma Gandhi: „Es gibt nur zwei Tage im Jahr, an denen man nichts tun kann: Gestern und Morgen“ sowie „Be the change you want to see in the world“.

Es geht nur mit vielen, die ernsthaft Verantwortung übernehmen wollen. Und das bedeutet, dass es auf jede und jeden ankommt. Wir alle können jeden Tag Teil der Veränderung sein, die wir uns für die Welt wünschen. Auch wenn sich diese Veränderung erst einmal klein und wenig anfühlt, so kann man eben doch nur gemeinsam die nötige große Kraft entwickeln. “It’s not the individual that

survives, it’s the community that cooperates that survives », sagt Paul Stamets, ein international renommierter Pilzexperte.

Mut machende Treffen solcher „wandlungswilliger“ Personen und Institutionen finden natürlich bereits statt, so im Rahmen der „Transition Days“ in Luxemburg, aber auch

bei Plattformen der organisierten Zivilgesellschaft wie „Votum Klima“ oder „Meng Landwirtschaft“, bei Klimademos oder Summer Schools von Attac, Greenpeace oder dem Institute for Social Banking (unser Titelfoto zeigt eine Pause mit einer Yoga-Einführung 2018 in Barcelona). Kooperation und Miteinander sind hier die großen Begriffe für die anstehende „große Transformation“.

Gemäß unseren Statuten ist eines der Hauptziele von etika die Förderung der ethischen Finanz - was heute vor allem bedeutet, die Finanzindustrie schnell dazu zu bringen, den sprudelnden Geldhahn für die fossilen Energien zu schließen. Einen Masterplan dafür gibt es nicht, niemand kann sagen, wo man damit am besten anfängt.

Aber wir gehören – bei aller Bescheidenheit – zu vielen Institutionen weltweit, die jeweils vor Ort versuchen, auf vielen Ebenen Überzeugungs- und Lobbyarbeit zu leisten und auch Akteure zu kritisieren, die weiterhin an Renditekriterien als oberster Richtschnur ihres Investitionsverhaltens festhalten, als hätten wir mehrere Planeten zur Verfügung.

Unsere eigenen Produkte – neben dem alternativen Sparkonto nun auch die Mitwirkung bei der ersten nachhaltigen Versicherung benennen wir nun entsprechend als „transformative Finanz“. Der Begriff geht in dynamischer Weise über „ethische Finanz“, „Sozialfinanz“ oder „Grüne Finanz“ hinaus.

Die Menschen beschäftigen aber noch andere Kämpfe, wie Wohnungsnot, Antirassismus und Feminismus: „Fight every crisis“ liest man oft auf Demos, so beim einmonatigen Klimacamp Saar im April oder bei der Demo in Luxemburg am 12. Juni (Fotos rechts), auf denen sich unterschiedliche Akteure in ihren Zielen zusammenfanden und verstanden, dass die meisten miteinander zusammenhängen: von Fridays for Future und Naturschützern über Unterstützer von Geflüchteten, Transition Town bis hin zu Veganern. Wir brauchen also eine Zusammenarbeit aller Gemeinschaften, „Blasen“, Bündnisse und Interessengruppen, die Alternativen aufzeigen und mit Mut und Zuversicht an Lösungen verschiedenster Probleme glauben, um 2021 zum Transformationsjahr zu machen. Trotz oder wegen COVID-19.

Artikel vom 14. Juni 2021