Elf Jahre hat es gedauert, am 21. Mai 2010 ist es feierlich eröffnet worden: Ein ungewöhnliches Freizeit- und Kulturzentrum im ländlichen Raum, dessen Realisierung vielen anfangs sehr utopisch erschien. Aber Michel Heftrich und seine damalige Frau Cristina glaubten daran. Deshalb nannten sie ihr Projekt zunächst auch „Cultopia“. Als ihnen erstmals die Idee kam, in ihrem kleinen Wohnort Untereisenbach ein Freizeitzentrum zu errichten, trug sie ihre Begeisterung jedoch schnell weiter. Sie entwickelten sehr genaue Vorstellungen darüber, wie das Projekt am Ende aussehen sollte. Michel, der 1975 sein Arbeitsleben als Dreher begonnen hat, hatte schon lange vorher bemerktl, dass er lieber in einem sozialen Beruf arbeiten möchte. In den Folgejahren verfestigte sich diese Idee immer mehr. Daher nutze er 1986 die Gelegenheit, eine Stelle als Ausbilder im Rahmen des Projekts „Nei Aarbecht“ anzunehmen, wo er bis heute arbeitet.
Michel engagierte sich zunächst in einem Sportverein und als Ehrenamtlicher für Entwicklungshilfeprojekte in Rumänien. 1999 fing er dann an, seine sozialkulturelle Utopie für Untereisenbach zu entwickeln. Zunächst wäre eine Begegnungsmöglichkeit - wie zum Beispiel eine Teestube, die an Wochenenden für alle geöffnet wäre – schon ein enormer Gewinn für diesen Ort ohne Lokalität mit Treffpunktcharakter. Da er immer schon in ländlichen Gegenden gelebt hatte, war ihm klar, dass es schwer sein dürfte, in solch einem Umfeld einen privaten Treff mit einem etwas anderen Anspruch zu eröffnen. Die Schwierigkeiten lagen vor allem darin begründet, dass er hier ein Pionier wäre. Mit allen Risiken des Scheiterns. Manche Hindernisse fördern die Vereinsamung und die Angst vor dem Anderen, wenn neue Bewohner in den Ort kommen. Im Grundproblem - die schlechte oder Nichtanbindung ans öffentliche Nahverkehrsnetz, welche die soziale Isolation derer, die nicht über ein eigenes Fahrzeug verfügen noch vergrößert – lag jedoch zugleich die große Chance.
Beeindruckt von der Schaffung des Naturparks Our, nimmt Michel Heftrich (auf dem Foto rechts bei der Einweihung) Kontakt mit den zuständigen Behörden des Kantons Clervaux auf, um ihnen sein bereits weit gereiftes Projekt vorzustellen. Er hat ein Freizeitzentrum im Kopf, das mehr als die üblichen Getränke und kleinen Speisen anbietet, sondern auch eine kleine Bibliothek, eine Kreativwerkstatt, Gesellschaftsspiele und einen Internetzugang. Das Projekt erhält sehr schnell die Unterstützung des EU-Programms LEADER Plus und des Vereins Interformation. Der Verein, der im Bereich der Fort- und Weiterbildung tätig ist, erklärt sich bereit Michel Heftrich in all den notwenigen Weiterbildungsmaßnahmen zu unterstützen, die für ein Gelingen des Projekts unumgänglich waren.
Viele Hürden zu nehmen…
Dennoch dauert es dann doch viel länger als erwartet. 2001, als bereits alle Vorbereitungen abgeschlossen waren und die Finanzierung durch die öffentliche Hand sicher schien, macht ihm eine neue großherzogliche Vorschrift zur Entwicklung des ländlichen Raums, die noch auf ihre Promulgation wartete, vorläufig einen Strich durch die Rechnung. Für Michel und seine damalige Frau, die sich so sehr für das Projekt eingesetzt hatten, beginnt eine Zeit des Zweifelns. Aber sie lassen nicht locker. Beide machen in der Zwischenzeit eine entsprechende Weiterbildung für die Führung des Freizeitzentrums: Eine Fortbildung als Betreuer sowie als Geschäftsführer für Michel, Intensivkochkurse für Cristina. Michel renoviert den Keller seines Hauses, in dem die durch LEADER Plus geförderte Internet Stuff und die Bibliothek Platz finden sollen. Ihre Anstrengungen und ihr Durchhaltevermögen zahlen sich letztendlich aus: 2004 wird die öffentliche Finanzierung endgültig genehmigt: Die Gemeinde gibt eine jährliche Beihilfe von 2.500 Euro, das Ministerium für Unterstützung des ländlichen Raums steuert einmalig 100.000 Euro bei. Etika schließlich vergibt im Dezember 2004 und März 2005 zwei Investitionskredite zur Sanierung des Gebäudes über zusammen 359.000 EUR (mit einer Laufzeit von 10 bzw. 20 Jahren).
Nachdem das Cultopia im November 2004 endlich eröffnet wurde, kamen zwar bald die Jugendlichen aus der Umgebung. Aber es erwies sich als schwierig, Erwachsene in einen Treff zu locken, der nicht einfach eine Kneipe mit Billardtisch ist oder ein Restaurant oder ein Internetcafé, sondern ein bisschen von allem. Die Sicht der Dinge ändert sich jedoch allmählich. Stand die lokale Bevölkerung anfänglich dem ganzen Projekt noch sehr skeptisch gegenüber, reagiert sie nunmehr verstärkt positiv.
Dazu trug vielleicht auch die Änderung des Namens in „KultOUR-Dëppen“ bei. „Deppen“ steht hier für die Töpfe, die in dem alten Gebäude nahe der Our vormals
produziert wurden. Das alte Wohnhaus wurde durch einen modernen Annex ergänzt und so alt und neu so geschickt kombiniert, dass sich auch alte Leute wohl fühlen. Michel hat in seiner Kreativwerkstatt zum Beispiel traditionelle Werkzeuge zu Lampenschirmen umfunktioniert.
Sein Hauptziel ist, „ein angenehmes Umfeld für außerschulisches Lernen zu ermöglichen“, wobei sich Michel an Ideen von Landakademien orientiert. Dabei soll unbewusstes Lernen im Vordergrund stehen. 2007 findet hier erstmals ein durch
LEADER finanziertes Lernfest statt.
Und alle 14 Tage findet jetzt wieder ein „Uuchten“ statt, eine im Zeitalter der Zentralheizung verlorene Tradition: Früher fanden sich die Generationen im Winter jeweils im Wechsel rund um den einzigen geheizten Herd zusammen. Das damit verloren gegangene Gemeinschaftsgefühl wird nun bei einer modernen Variante des Uuchtens - bei gemeinsamen Hobbys in der Kreativwerkstatt - neu belebt. Der Verein Gaart en Heem Hosingen bietet Nachmittage für Mütter und Familien, bei denen jeder machen kann, wonach ihm ist (Geschichten erzählen, häkeln, basteln oder Spazieren gehen).
Jetzt ist die Utopie umgesetzt: inklusive renoviertem Backofen für Brot- und Pizzabackkurse sowie der Außenanlage (Foto) mit Streichelzoo, Weiher und Behindertensanitärraum.
Eröffnungsfest am 21. Mai 2010
Viele beglückwünschen die Heftrichs heute, die Verwirklichung dieser etwas verrückten Ideen konsequent verfolgt zu haben. Längst kommen auch auswärtige Besucher, auch aus dem benachbarten Übereisenbach in Deutschland. RTL-Reportagen im Rahmen der Aktion „Liesen ass cool“ taten ihr übriges. Es brummt regelrecht, die Nutzer bitten um eine Verlängerung der Öffnungszeiten. Aktuell (Stand: Jan. 2016) hat das KultOUR-Dëppen donnerstags und freitags von17:00 - 23:00 Uhr, samstags von 11.00 - 23:00 Uhr und jeden ersten Sonntag im Monat von 11:00 - 23:00 Uhr geöffnet. Ausserhalb diesen Zeiten werden Gruppen angenommen ab 20 Personen.
Am 21. Mai 2010 wurde die offizielle Eröffnung gefeiert. Im Sommer war das KultOUR-Dëppen täglich geöffnet. Es fanden die ersten Kindergeburtstage und am 6. Juni 2010 ein grosses Familienfest statt, bei dem es um den Austausch von Talenten ging. Seit dem Herbst ist es wieder nur von Freitag Abend bis Sonntag Abend geöffnet. Werktags ist nur bei Anmeldung geöffnet.
Nachtrag: Aus der Traum
Zehn Jahre nach seiner Gründung gehen im Kreativbistro KultOURdëppen in Untereisenbach Ende 2020 endgültig die Lichter aus. Das von Michel Heftrich mit viel Herzblut aufgebaute Kulturzentrum muss schließen, weil sich keine Nachfolgeregelung ergeben hat, nachdem er aus privaten Gründen nach Österreich gezogen ist. Aller Veranstaltungserfolge, Impulse und Ideen zum Trotz gelang es ihm seit mehreren Jahren nicht, eine tragfähige Basis und Kontinuität in den Betrieb zu brinen. Die Gründe waren so vielfältig, wie das Projekt selbst: vom abgelegenen Standort über beschränkte finanzielle Marketingmöglichkeiten bis hin zum Scheitern der Suche nach einer langfristigen Betriebsnachfolge, nachdem der 63-jährige seiner neuen Lebensgefährtin nach Österreich gefolgt ist. Nun soll das Haus verkauft werden. Die Erlöse sollen in eine kleinere Begegnungsstätte mit offener Werkstatt vor Ort sowie eine Zehn-Länder-Radtour fließen, bei der er bei Workshops zum Thema Repair-Economy mitwirken will.
Kontakt: KultOUR-Dëppen, Um Haeregaart, L-9838 Untereisenbach, Tel : 92 06 88, mail: info@kultour.lu (zur Zeit nicht aktiv), www.kultour.lu (zur Zeit inaktiv)
Bus: Linie 663 Clervaux - Vianden (Ausstieg Untereisenbach Breck)
Dieser Text erschien am 18. Oktober 2006, zuletzt aktualisiert am 22. März 2021
Lesen sie hier weitere Artikel aus dem Tageblatt (28.07.2009) und dem Wort (26.05.2010):
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