Bislang haben 27 UN-Klimakonferenzen stattgefunden – von der COP 1 in Berlin im Jahr 1995 bis zur COP 27 in Scharm El-Scheich im vorigen Jahr. Im öffentlichen Bewusstsein sind wenige davon in Erinnerung geblieben. Angesichts der in Dauerschleife wiederkehrenden Absichtsbekundungen ohne konkrete politische und wirtschaftliche Konsequenzen ist das nicht verwunderlich. Eine Ausnahme bildet – ob gerechtfertigt oder nicht – die COP 21, die in das sogenannte „Übereinkommen von Paris“ mündete. Der Vertrag sieht die Begrenzung der globalen Erwärmung auf „deutlich unter“ 2 Grad Celsius vor.
Am Luxemburger Finanzplatz vergeht keine Woche, in der nicht irgendwo auf einer der zahlreichen Konferenzen, in Reden, Artikeln oder Workshops das Abkommen von Paris ehrfürchtig beschworen wird. Der Grund ist nicht nur die im Vertrag definierte Begrenzung der Erwärmung. Das Abkommen erwähnt im Rahmen der UN-Klimakonferenzen zum ersten Mal das Ziel, die weltweiten „Finanzmittelflüsse“ in kohlenstoffarme Industrien umzulenken.
Wiederholt wird diese Forderung seither von den unterschiedlichsten Akteuren, von NGOs, Protagonisten der Finanzindustrie und selbstverständlich der Politik. So durfte das Bekenntnis zur Neuorientierung der Finanzflüsse auch in der „Luxembourg Sustainable Finance Strategy“ nicht fehlen, ebenso in den zahlreichen begleitenden Interviews der damaligen Minister Carole Dieschbourg und Pierre Gramegna.
Um welche Finanzströme es sich hier genau handeln soll, ist unklar, und womöglich ist genau dies einer der Gründe für die immense Popularität dieser Forderung, mit der man – ohne allzu verbindlich zu werden – seine besten Klimaabsichten zur Schau stellen kann. Zwischen von Banken vergebenen Krediten, Anleihen, Private-Equity-Investments, der Bereitstellung öffentlicher Gelder oder dem Aktienmarkt, um nur einige Beispiele zu nennen, bestehen jedoch gravierende Unterschiede.
Wenn in der Vergangenheit von Klima und Finanzen die Rede war, ging es lange in erster Linie um öffentliche Gelder für Entwicklungsländer zu Klimaanpassungszwecken. In den Jahren nach dem Pariser Abkommen geriet jedoch mehr und mehr der private Sektor, die Finanzindustrie, in den Fokus. Ein nicht zu unterschätzender Faktor für diese Entwicklung waren diverse spektakuläre Kampagnen von NGOs, die Großbanken an den Pranger stellten, die Ölkonzerne finanzieren.
Auf diesen zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Druck wiederum hat der private Sektor geschickt reagiert – mit der erfolgreichen Vermarktung neuer, vermeintlich nachhaltiger Finanzprodukte, die, so glaubt man den Anbietern, eine gewichtigen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten könnten. Seit der Pariser Klimakonferenz lässt sich daher ein gigantischer Anstieg sogenannter ESG-Investments feststellen, also in Produkte, die ökologische und soziale Kriterien sowie die Art der Unternehmensführung beachten sollen. Dementsprechend verkündet man am Luxemburger Finanzplatz gerne stolz, dass mittlerweile schon mehr als die Hälfte aller hier domizilierten Investmentfonds nachhaltig seien, deren Volumen astronomische zwei Billionen Euro betrage. Das Land komme damit, so heißt es regelmäßig von Seiten der Poltik, in Sachen Klimaschutz seiner globalen Verantwortung nach.
Angesichts dieser scheinbar beeindruckenden Bilanz – mehr als die Hälfte ist schon nachhaltig – könnte man den Eindruck gewinnen, dass man mit der vielbeschworenen Umleitung der Finanzströme einen gewichtigen Schritt vorangekommen ist. Doch worin genau ist das Geld investiert? In erster Linie wurde es an den weltweiten Aktienmärkten platziert. Der größte Teil des Geldes wurde in Anteillscheine großer Unternehmen eingetauscht, und zwar, wie viele Studien beweisen, nicht nur in nachhaltige. Zu den beliebtesten Anlageobjekten von ESG-Fonds gehören die Aktien von Microsoft, Coca-Cola, Roche, Apple und Amazon – nicht unbedingt die Firmen, die man mit Nachhaltigkeit verbindet.
Die konkreten Portfolio-Inhalte sind also – trotz der inflationären Deklarierung als ESG-konform – weiterhin vielfach problematisch. Doch selbst wenn sich in den ESG-Portfolios in erster Linie kleine, auf das Recycling von Ozeanplastik spezialisierte Tech-Start-Ups befänden, stellt sich die grundlegende Frage, was hiermit gewonnen wäre. Der Grund: Es handelt sich bei Aktienkäufen lediglich um Platzierungen auf dem sogenannten Sekundärmarkt.
Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis investiert man an der Börse nicht direkt in ein Unternehmen. Man erwirbt mit einer Aktie vielmehr einen Teil des betreffenden Unternehmens von einem anderen Markteilnehmer. Dieser andere Marktteilnehmer, der Vorbesitzer, kann ein Privatanleger, ein Pensionsfonds oder ein in Luxemburg domizilierter ESG-Fonds sein. Das Unternehmen selbst profitiert nicht von diesem Tauschgeschäft.
Anders ist es bei dem Börsengang eines Unternehmens, dem sogenanntes Initial Public Offering (IPO). Hier werden zum ersten Mal Aktien aus dem Altbestand der Gesellschafter an der Börse angeboten, die vor dem Börsenstart von Anlegern gezeichnet werden können. Hier, auf dem sogenannten Primärmarkt, findet tatsächlich ein direkter Kapitaltransfer zu dem betreffenden Unternehmen statt, das das eingenommene Geld in diverse Aktivitäten investieren kann. Alle darauffolgenden, am Sekundärmarkt stattfindenden Transaktionen zwischen diversen Marktteilnehmern betreffen das Unternehmen dann nur noch mittelbar. Vergleichen lassen sich Transaktionen auf dem Sekundärmarkt etwa mit dem Kauf eines Gebrauchtwagens. Auch hier kauft man ein bereits im Handel befindliches Objekt, das mindestens einen Vorbesitzer hatte. Die Herstellerfirma gewinnt nicht an diesem Tausch.
Dennoch erhoffen sich gerade Kleinanleger, eifrig ermuntert durch die Marketingmaschinerie der Anbieter von ESG-Produkten, eine direkte Wirkung ihrer Anlagen. Es mag auch sein, dass man, wenn sich ausreichend Marktteilnehmer zusammenfinden, den Aktienkurs einer Firma vorübergehend in die eine oder andere Richtung lenken kann. Die Unternehmen selbst betrifft dies allerdings kaum. Auf lange Sicht sind an der Börse realwirtschaftliche Kennzahlen entscheidend. Es gibt hunderte Beispiele von Firmen, die aufgrund ihres zweifelhaften Geschäftsmodells eigentlich besonders von den Ausschlusskriterien der ESG-Fonds, die in Luxemburg ja immerhin die Mehrheit stellen, betroffen sein müssten. Dennoch haben sie in den letzten Jahren eine beeindruckende Kursentwicklung gezeigt: Totalenergies, Royal Dutch Shell oder etwa die Waffenfirma Rheinmetall, um nur einige Beispiele zu nennen, verzeichnen seit dem Covid-Tief Kurssteigerungen von bis zu 350 Prozent – aufgrund guter realwirtschaftlicher Daten, allen ESG-Fonds und Desinvestitionskampagnen zum Trotz.
Die Vorstellung also, eine unethisch agierende Firma allein durch Desinvestition oder Nicht-Investition beeinflussen bzw. ihr schaden zu können, muss ins Reich der Mythen und Legenden verwiesen werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies leider: Auch Platzierungen in nachhaltige Firmen am Sekundärmarkt zeigen wenig bis keine Effekte – von dem wohligen Gefühl für den individuellen Investor, der sich auf der moralisch richtigen Seite wähnt, einmal abgesehen. In Luxemburg redet man nicht gerne über diese Tatsache. Schließlich lebt mittlerweile ein ganzes Heer aus Anwälten, ESG- und Produktberatern, Datenanalysten und Fondsmanagern von der Aufrechterhaltung dieser kollektiven Illusion. Ganz zu schweigen von der Politik, die die Erfolgsmeldung von der vermeintlichen Nachhaltigkeit des Finanzplatzes gerne verbreitet. Es gibt demnach zahlreiche Profiteure dieses schlechten Theaterstücks. Es ist nur sicher nicht das Klima.
Wer als Anlegerin oder Anleger tatsächlich Einfluss mit seinem Geld nehmen will, der muss sich nach Anlagemöglichkeiten umschauen, die einen realwirtschaftlichen Effekt haben. Das geht in erster Linie über den Primärmarkt, etwa über Kredite, die nachhaltigen Firmen und Projekten zugute kommen. etika ist froh, Sparerinnen und Sparern mit unserem Alternativen Sparkonto ein derartiges Produkt anbieten zu können.
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